Der Prozess – Analyse, Explikation, Implementierung

Wer beim Prozess an Kafka denkt, liegt falsch – so möchte man meinen. Doch der Prozess ist nicht nur ein juristisches Verhandeln von Tatbeständen, sondern auch ein Ablaufen von Mechanismen. Verschiedene Rädchen greifen ineinander und prozessieren einen Gegenstand, sodass letztlich ein Ergebnis zu betrachten ist.

Complexity
Photo: Dids

Über dem juristischen „Mechanismus“ liegt also auch ein bürokratischer. Doch dabei bleibt es nicht. Denn darüber wiederum liegt ein informeller, den ich sozial nennen möchte – und zwar sozial im handlungstheoretischen und nicht im philanthropischen Sinne.

Je weiter wir uns dabei von niedergeschriebenen Regeln (explizitem Wissen) entfernen, desto undeutlicher erscheinen die vor unseren Augen ablaufenden Mechanismen. Doch schon der Umstand, dass sich Menschen beim Begrüßen zumeist die Hand geben, deutet auf eine Regel hin, die befolgt wird.

Sich-die-Hand-reichen ist ein beliebtes Beispiel des Soziologen Max Weber, der darin eine Normerfüllung sieht: es ist die Erwartung zu erfüllen, nicht unhöflich zu sein.

Prozesse im Unternehmen: formell vs. informell

Analoges finden wir in jedem Wirtschaftsunternehmen, in jeder Organisation, in jedem Betrieb:

Formale Regeln sollen den Ablauf von Prozessen „steuern“. Die wohl deutlichste Ausprägung dieser Formalisierung ist im Qualitätsmanagement zu finden. Dieses kommt zumeist mit konkreten Regeln, Ablaufbeschreibungen und dazugehörigen Diagrammen und Schaubildern daher.

Darüber wiederum finden sich unzählige Abläufe, die gar nirgends festgelegt sind und sich einfach eingespielt haben. Sie werden nicht hinterfragt, haben sich aber in der betrieblichen Lebenswelt aller Beschäftigten etabliert.

Diese Etabliertheit drückt sich darin aus, dass sie Orientierung und über diese wiederum Verlässlichkeit zusichern. Aber es sind informelle Regeln – für informelle Prozesse.

Das impliziert auch die Möglichkeit (!), dass sich informelle Regeln gegen bestehende aber formelle Regeln in Konkurrenz entwickeln. Oder dass formelle Regeln eingeführt werden und die bestehenden informellen Regeln damit ablösen sollen. Dann kann es sein, dass der Grad der Institutionalisierung der informellen Regeln so hoch ist, dass diese verteidigt werden. „So haben wir das schon immer gemacht“, kann ein Satz sein, der dann zu hören ist.

Wie aber geht man richtig vor, wenn man Prozesse anpassen und ändern möchte?

Bestehende Prozesse richtig analysieren

Der weitverbreitete Fehler liegt bereits im ersten Schritt, indem dieser oftmals gar nicht erst gemacht wird: Die Analyse des Bestehenden.

Eine Veränderung in den Abläufen kann durchaus sinnvoll sein, aber wie soll diese Veränderung zum einen passen und zum anderen auch von den Beschäftigten akzeptiert werden, wenn gar nicht klar ist, wie die Ausgangslage aussieht?

Gehen wir davon aus, dass wir es mit einem informellen Prozess zu tun haben, dann liegt i.d.R. nirgends eine Explikation des per Wiederholung eingeübten Ablaufs vor. Das heißt auch, dass sich alle Beteiligten i.d.R. denselben „Prozess“ gänzlich unterschiedlich vorstellen – daher auch hier Anführungszeichen.

Würde hierzu eine Veränderung eingeführt, hat zumeist jeder der von der Veränderung betroffenen Beschäftigten das Gefühl, dass das Ganze gar nicht passen kann, denn es gibt schon keine gemeinsame Ausgangslage, von der aus die Veränderung beurteilt wird.

Stattdessen ist sich jeder seiner eigenen Vorstellung de facto sicher – und was die oder der andere denkt, ist ja „sowieso schon falsch.“

Die betroffenen Beschäftigten aber an einen Tisch zu holen und eine professionelle Analyse dessen zu machen, wie denn „dieses Ding“ derzeit eigentlich abläuft, bringt alle auf denselben Nenner.

Daneben offenbaren sich dadurch meist Erkenntnisse, die bei der Ausarbeitung der anstehenden Änderung zumeist vergessen werden, gerade weil sie im informellen Schatten eines Prozesses versteckt bleiben. Etwa war gar nicht klar, dass ein Mitarbeiter immer auch die Rückmeldung einer bestimmten Abteilung einholt, bevor er diese oder jene Aufgabe zu Ende bringt. Er hat dies aber so entschieden, weil er festgestellt hat, dass er ohne diese Rückmeldung gar nicht handlungsfähig ist.

Nur, im bisherigen Diagramm war das nie abgebildet.

Über die Analyse der bestehenden informellen Prozesse wird also nicht nur Verständnis, sondern auch die wichtige Legitimation für eine Veränderung generiert. Wenn alle Beteiligten sehen, warum die Veränderung angestrebt und was damit erreicht wird, wird es deutlich weniger Widerstand geben.

Dabei muss die Analyse ausreichend tiefgehend sein und darf nicht mit „das ist doch sowieso schon alles klar“ abgetan werden.

Neue Prozesse richtig einführen

Klarheit muss auch das Ziel bei der Veränderung oder Neueinführung des Prozesses sein (was nicht nur für Prozess gilt).

Wurde bereits eine gute Analyse des Status quo erarbeitet, kann von dieser ausgehend auch die Veränderung starten. Klarheit heißt hierbei zum einen schriftlich und zum anderen grafisch.

Je komplexer ein Prozess ist, desto notwendiger wird die Klärung seines Ablaufes. Denn je mehr Personen involviert sind, desto unterschiedlicher sind die jeweiligen Interpretationsweisen.

Was wie eine langweilige Aufgabe daherkommt, kann später sehr viel Frustration verhindern helfen. Zum einen zwingt die Ausformulierung des Ablaufes zur Reflexion über Wege und Ziel des Prozesses. Zum anderen sind Feinjustierungen viel leichter zur kommunizieren, wenn erst eine klare Basis geschaffen wurde.

Daneben ist ein Diagramm zu empfehlen, das sich in gewohnter PowerPoint-Manier mit Pfeilen und Textboxen darstellen lässt.

Hierbei kann durch die Nutzung eines professionellen Grafikprogrammes oder die Beauftragung eines Grafikers ein enormer Gewinn in Darstellung, Vermittlung und Verständnis erreichen werden. Der Nachteil ist, dass sich eine solche Grafik dann intern nicht mehr so leicht anpassen lässt, sollte dies nötig sein.

Das Vorhalten ebendieser Dokumente (Verschriftlichung und grafische Darstellung) wiederum gibt die Möglichkeit, intern zielgenaue Trainings durchzuführen, um alle Beteiligten auf denselben Wissensstand zu bringen.

In Termini des modernen Wissensmanagements ausgedrückt, haben Sie jetzt implicit knowledge in explicit knowledge überführt.

Menschen – nicht Maschinen

Bei aller Liebe zum explizierten Prozess muss bedacht werden, dass in den allermeisten Fällen zuvorderst Menschen und nicht Maschinen mit ebendiesen Prozessen in Berührung kommen.

Das heißt, ein Prozess ist kein starres Gebilde. Ist er einmal fertig erdacht und expliziert und sodann implementiert, stellt sich seine Tragfähigkeit erst jetzt heraus. Er wird damit dem Spiel der betriebsinternen Kräfte übergeben und muss in diesen bestehen.

Das ist nicht als Bedrohungsszenario gemeint. Im Gegenteil!

Prüfung, Etablierung und Evolution

Wenn man so will, kann man von der prozessuralen Prüfung sprechen. Besteht der Prozess diese Prüfung nicht und scheitert vollumfänglich, ist zumeist bei den Schritten zuvor ein Fehler passiert. Was das genau ist, kann nur im Einzelfall entschieden werden.

Besteht der Prozess aber die Prüfung, kann von einer Etablierung gesprochen werden.

Dazu aber bedarf es der Auffassung, dass Feinjustierungen akzeptiert und erwünscht sind. Gerade wenn der Prozess sehr viel menschliches Handeln involviert, wird er sich einer Evolution entsprechend weiterentwickeln. Denn in der Praxis ergeben sich weitere neue Erkenntnisse, die vorab nicht absehbar waren.

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